marilyn monroe – artworks – by peter gartmann

marilyn monroe – artworks – by © peter gartmann – art book – art picture collection susanne minder

Der schönste unglückliche Engel der Welt

 

von Michael Bahnerth

 

In manchen Leben ist das Licht heller als eine Sonne und die Dunkelheit düsterer als im verborgensten Winkel des Universums. Sie war neun Jahre alt, und das flackernde Licht in ihrem Leben erlosch schon wieder. Sie sass auf einem der 27 Betten im Schlafsaal eines Waisenhauses unweit von Los Angeles. Ihre Ersatzmutter war einfach weggegangen, hatte sie umarmt, ihr einen Kuss gegeben, sich umgedreht, und obwohl sie weinte und leise schrie, sich nicht umgedreht. Und ihre leibliche Mutter war so fern wie ein Stern.

 

Sie stellte sich vor das einzige Fenster des Schlafsaales, sah durch ihre Tränen verschwommen die Nacht und den Wasserturm der RKO-Filmstudios. Allein stand er da und streckte sich voller Licht in die Dunkelheit. Sie war sich sicher, dass dort jenes Märchenreich lag, das ihr ihre Ersatzmutter versprochen hatte. Jede Nacht stellte sie sich an dieses Fenster, schaute auf den erleuchteten Turm und versank im Traum, bald im Märchenreich ein Hollywood-Star zu sein, eine Prinzessin, die von allen geliebt würde und einen Vater hätte. Das war die Welt der Norma Jeane Baker.

 

Marilyn Monroe, wie sie sich später nannte, war wie ein Engel, dessen Leben auf Erden immer wieder so schwer wurde, dass seinen Flügeln die Kraft fehlte, es von seiner Last zu befreien. Am Ende ihres Lebens, in dem sie ihre Schatten besser kennengelernt hatte als ihr Licht, als sie sich so verlassen und aufgegeben fühlte wie damals im Schlafsaal des Waisenhauses und sich im Schlafzimmer ihrer Villa einschloss, um sich selbst zu missbrauchen, nachdem sie stets von andern missbraucht wurde, als sie aus dem Fenster schaute und keinen Traum mehr sah, sie sich nackt aufs Bett legte, 24 starke Beruhigungspillen schluckte, um sich schwerelos zu fühlen, war sie schon viel länger müde vom Sterben als vom Leben.

 

Am 4. August 1962 hörte ihr Herz auf zu schlagen, und vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben und wahrscheinlich nur für die Dauer eines Flügelschlages fand sie, was sie vergebens gesucht hatte; ihr Märchenreich. Ihr Leben hatte bloss immer nur für alle andern ausgesehen, als ob es ein Märchen sei.

 

Sie hatte 36 Jahre lang gelebt und gekämpft für ihre Träume und gegen ihre Dämonen, sie hatte geliebt, verzweifelt beinahe, weil sie dem dunkeln, lieblosen Abgrund ihrer Kindheit entkommen wollte. Die Welt und die Männer liebten ihre Hülle, ihren göttlichen Körper, dieses Gesicht wie aus einem Märchen nicht von dieser Welt, und sie tat, wie sie das schon als Kind getan hatte, alles dafür, um ihrer Hülle einen wie ausserirdischen Glanz zu verschaffen, eine unwiderstehliche Begehrlichkeit. Fast ihre ganze Seele verwebte sie mit der Hülle, um eins zu sein mit sich selber, nur jenes Stück, auf dessen Boden die Liebe zu sich selbst wachsen sollte, konnte sie nicht anbringen. Marilyn konnte sich selbst nicht lieben, das war vielleicht die grösste Tragödie ihres Lebens.

 

Der Schriftsteller Truman Capote, ein Freund von ihr, der wie sie eine unheilbar verletzte Seele in sich trug, dinierte einst in einem chinesischen Restaurant in New York mit ihr. Marilyn ging in den «Ladies’ Room» und kam nicht mehr zurück. Capote ging nachschauen, klopfte an die Tür, und als er nichts hörte, trat er in die Damentoilette. Marilyn sass vor dem Spiegel in einer Art gelösten Starre. «Was machst du da?», fragte er. «Ich schaue sie an», antwortete Marilyn.

 

Was sah sie damals, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, als die meist fotografierte Frau der Welt, als der verruchteste Engel der Welt, als Frau des Dramatikers Arthur Miller, als Schauspielerin, als Besitzerin einer eigenen Filmproduktionsfirma, als ein Hollywoodstar, der Filme gemacht hatte wie «Blondinen bevorzugt», «Wie angelt man sich einen Millionär», «Niagara», «Das verflixte siebente Jahr» und «Manche mögen’s heiss», und die inzwischen 100 000 Dollar pro Film bekam?

 

Wahrscheinlich sah sie durch ihre verletzlich und an einigen Stellen schon rissig gewordene Hülle die nicht wegzuspielende verzweifelte Einsamkeit jener, deren Wurzelwerk sich nie in der Erde des eigenen Daseins festmachen konnte. Sah eine Welt, die ihren Sexappeal wollte, nicht aber ihre Seele. Die nicht ihre Kunst wollte, sondern nur ihre Kurven. Sah, dass das, was die Welt und die Menschen ihr entgegenbrachten, Begehren war und Bewunderung, aber keine Liebe. Und dass, wenn ihre Hülle faltig geworden wäre und sie ihre Maske nicht mehr mit ihren Träumen zum Strahlen bringen könnte, sie nichts mehr hätte ausser ihren Pillen, die sie gleichzeitig von ihr erlösten und verhinderten, durch den Nebel hindurch auf sich selbst zuzulaufen.

 

«Diamonds», sang sie ahnungsvoll, als der Traum von ihrem Leben noch stärker war als seine Realität, die Hülle noch ein wenig wärmte und die Seele noch auf später vertröstet werden konnte, «are a girl’s best friend.»

 

Im Grunde hatte sie nur einen wirklichen Freund, einen, der sie nie enttäuschte, der ihr zurückgab, was sie in der Lage war ihm zu geben, einen, der sie zu verstehen schien, einen, der wortlos mit ihr sprach; die Kamera. Sie liess Marilyn zum Ebenbild ihrer Träume werden. Die Kamera verstand ihre Verletzlichkeit, die sich hinter ihrer Schönheit verbarg und sie gleichzeitig vervollkommnete. Die Kamera schaffte das Unmögliche, oder zumindest das ganz Seltene; für einen Moment ein Wesen zu sein, das von sich selbst befreit war. Es spielte im Grunde fast keine Rolle, welchem Film die Kamera Bilder gab, welche Rolle Marilyn spielte, weil sie der Kamera stets ihren Zauber herausdrängender, immer nur beinahe überschäumender Weiblichkeit, zeitloser Schönheit und kaum wahrnehmbarer schwebender Schwermut anvertraute.

 

 

Da war irgendwann nicht mehr genug Make-up, das hätte darüber hingwegtünchen können, dass darunter ein Mensch sich in sich selbst verlor. Sie hatte eine weitere Fehlgeburt, und der Traum, dass sie mit einem Kind nie mehr alleine wäre, implodierte in ihr. Ihre dritte Ehe mit dem Dramatiker Arthur Miller war am Ende, und die nächsten Vaterfiguren, von denen sie sich die Hoffnung auf eine Liebe um ihrer selbst willen versprach, liebten sie, wie ein Kind ein Spielzeug liebt vielleicht und dann, wenn es ihm überdrüssig ist, achtlos liegen lässt; John F. und später Bobby Kennedy. Ihre Existenz war mit 35 Jahren schon zu einem langsamen Sterben geworden.

 

Sie verbrachte mehr Zeit bei Psychiatern, in Kliniken, zuhause im Bett, vollgedröhnt mit dem Schlafmittel Nembutal, als noch vor der Kamera. Marilyn, wenn man so will, gab es kaum mehr, sie wurde eins mit den Nebelschwaden ihrer Seele. Sie trieb auf einem Ozean ohne Ufer, und das letzte Boot, das sie hätte aufnehmen und retten können, konnte sie nicht besteigen.

 

Die Paramount-Studios suchten eine Besetzung für die weibliche Hauptrolle von «Breakfast at Tiffany’s», für Holly Golightly, und Marilyn, die so gerne eine Holly Golightly gewesen wäre, bemühte sich um die Rolle und hätte sie wohl auch bekommen, wenn ihr damals Noch-Mann Arthur Miller, nicht gerade ein Drehbuch geschrieben hätte, «Misfits», bei dem Marilyn die Hauptrolle spielen und Produzenten an Land ziehen sollte. Sie mochte Misfits nicht, die Geschichte von vier vom Leben unrettbar in den isolierten Aussenbezirken des Seins festgehaltenen Menschen. Wahrscheinlich wollte sie nicht spielen, was sie schon leben musste. Und der Glaube an ihre Schauspielkunst hatte sich verflüssigt, war zur Suppe voller Selbstzweifeln geworden. Sie war unpünktlich am Set, weil die Angst sie ans Bett fesselte. Wenn sie am Set war, war sie wie ein Schatten, den auch eine Kamera immer weniger verdrängen konnte.

 

 

 

Vielleicht hätte Holly Golightly sie gerettet, ihr Vertrauen in ihre Kunst gestärkt oder wiederbelebt, ihr geholfen, die unabschüttbaren Dämonen nicht loszuwerden, das ist unmöglich, aber sie an eine Leine zu legen. Vielleicht wäre ihr Holly eine Hülle geworden, die für die nächsten Jahre gehalten hätte.

 

Ihr letzter Satz, der ist wie ein Licht, das in der Dunkelheit ertrinkt, in ihrem letzten Film war: «How do you find your way back in the dark?»

 

 

 

english version of the text – text in Englisch

 

marilyn monroe

artworks + art book – by © peter gartmann

 

 

 

Geld ist für mich nicht wichtig, ich will wundervoll sein.

Marilyn Monroe

 

 

Wenn ich immer alle Regeln befolgt hätte, hätte ich es nie zu etwas gebracht.

Marilyn Monroe

 

 

Gib einem Mädchen die richtigen Schuhe und sie wird die Welt erobern.

Marilyn Monroe

 

 

 

artworks marilyn monroe 2020

100 x 100 cm

unique items 1 / 1

acrylic glass frame

 

 

 

 

Filmauswahl – Marilyn Monroe

1. Juni 1926 – 4. August 1962

 

1950  Asphalt-Dschungel

1950  Alles über Eva

1952  Versuchung auf 809

1953  Niagara

1953  Blondinen bevorzugt

1953  Wie angelt man sich einen Millionär?

1954  Fluss ohne Wiederkehr

1955  Das verflixte 7. Jahr

1956  Bus Stop

1957  Der Prinz und die Tänzerin

1959  Manche mögen’s heiss

1960  Machen wir’s in Liebe

1961  Misfits – Nicht gesellschaftsfähig

1962  Marilyn – Ihr letzter Film

 

 

 

 

art book – marilyn monroe

publisher:  rajka + patrick bellomo – bellomo treuhand ag

artworks:  Peter Gartmann – art + photography – switzerland

essay:  michael bahnerth

redaktion:  sabina roth

design:  Susanne Minder – art picture collection – switzerland

artworks copyright:  © peter gartmann

 

 

 

 

 

 

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siehe auch art photography aus der serie – shadow in my life – art photography – by peter gartmann – art + photography, switzerland – art picture collection susanne minder

 

zudem aus der serie art photography – the eye – das auge – by peter gartmann + sabina roth – art + photography, switzerland – art picture collection susanne minder

 

siehe auch art photography aus der serie – face to face – portraits – by sabina roth – art + photography, switzerland – art picture collection susanne minder

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